Beitrag: Anklage wegen Folter?
Sendung vom 20. Januar 2009
Anmoderation:
Das war heute die größte Party, die Washington jemals erlebt hat.
Rund zwei Millionen Menschen begrüßten den Mann, unter dem
sich vieles andern soll. Jetzt also ist Barack Obama Prasident.
Und jetzt wird es ernst. Unter seinem Vorganger hat Amerika
Gefangene gefoltert, auch wenn das für George Bush bis zuletzt
nur „harsche Verhörmethoden" waren. Obama hat die
Massnahmen wie das berüchtigte „Waterboarding" klipp und klar
„Folter" genannt, aber sagt gleichzeitig, er suche nicht die große
Abrechnung mit der Regierung seines Vorgangers. Der UNSonderberichterstatter
für Folter allerdings sagt uns, Obama sei
rechtlich verpflichtet, gegen Bush und Co strafrechtlich
vorzugehen. Jörg Brase und Thomas Reichart berichten.
Text:
Selten haben auf einem neuen US-Prasidenten so große
Hoffnungen geruht wie auf Barack Obama. In seiner Antrittsrede
stellt er klar, er will brechen mit dem Erbe der Bush-Regierung
von Folter und Rechtlosigkeit im Kampf gegen den Terror.
O-Ton Barack Obama, US-Prasident:
Was unsere nationale Verteidigung angeht, so lehnen wir die
falsche Wahl zwischen unserer Sicherheit und unseren
Idealen ab.
Sein Vorganger George W. Bush verriet amerikanische Ideale im
Kampf gegen den Terror. Der Berliner Menschenrechtsanwalt
Wolfgang Kaleck verklagte Mitglieder der Bush-Regierung wegen
Folter und Misshandlungen vor deutschen Gerichten, bisher ohne
Erfolg. Dass Obama Folter als Verbrechen klar ablehnt, sei ein
guter Anfang, meint er.
O-Ton Wolfgang Kaleck, Menschenrechtsanwalt:
Was jetzt noch folgen muss, ist eine Aufklarung all der
Schandtaten, die in den letzten acht Jahren im Namen der
Terrorismusbekampfung erfolgt sind. Und was noch folgen
muss, ist eine Wiedergutmachung für die Verletzten und
eben gegebenenfalls auch eine Strafverfolgung gegen die
Schuldigen.
Menschenrechtler wie Kaleck fordern, dass Obama brutale
Verhörmethoden wie das simulierte Ertranken, das sogenannte
Waterboarding, wieder zu dem erklart, was es ist, und immer war:
Folter. Die Regierung Bush hatte Waterboarding legalisiert. Mit
fadenscheinigen Gutachten wurde für Recht erklart, was bis dahin
Unrecht war. Bis zuletzt blieb die alte US-Regierung bei ihrer
umstrittenen Haltung.
O-Ton John Conyers, Vors. Justizausschuss US-Parlament,
im Februar 2008:
Werden Sie strafrechtliche Ermittlungen aufnehmen, um
herauszufinden, ob der erwiesene Einsatz von
Waterboarding durch US-Agenten illegal war?
O-Ton Michael Mukasey, US-Justizminister:
Eine direkte Frage, und eine direkte Antwort: Nein, das werde
ich nicht tun!
Und Waterboarding war nicht die einzige Foltermethode, die CIA
und Armee einsetzten. Beispiel Guantanamo, der Gefangene
Nummer 063. Mohammed al Kahtani gilt als wichtiges Mitglied
von Al-Kaida. Das sind die Verhörprotokolle aus dem November
und Dezember 2002. Al-Kahtani wird wochenlang vernommen, 20
Stunden am Tag. Die Verhöre enden um Mitternacht, vier
Stunden spater wird er wieder geweckt. Er darf kaum schlafen,
wird sexuell gedemütigt und misshandelt.
Zitat:
18. Dezember 2002, 14:15 Uhr
Dem Gefangenen wurde mit elektrischen Rasierern Bart und
Haare abgeschnitten. Der Gefangene begann sich zu wehren,
als sein Bart berührt wurde. Er wurde aber schnell gefügig.
20. Dezember 2002, 11:15 Uhr
(Der Vernehmer) begann damit, dem Gefangenen Lektionen
wie „Bleib“, „Komm“ und „Belle“ zu lehren, um so seinen
gesellschaftlichen Rang auf den eines Hundes zu heben. Der
Gefangene wurde sehr aufgewühlt.
An den Folgen dieser Behandlung geht al-Kahtani fast zugrunde.
Das sei eindeutig Folter, sagen Menschenrechtler. Und auch die
oberste Juristin der amerikanischen Militartribunale, Susan
Crawford, kommt jetzt zu diesem Ergebnis. Sie lehnt eine
Anklage ab. Al-Kahtanis Gestandnisse seien nichts wert. Denn,
sagt Crawford, wir haben ihn gefoltert. Damit bestatigt sie, was
der UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak schon vor drei
Jahren in einem Bericht feststellte. Heute fordert er: die
Verantwortlichen müssen vor Gericht. Die Beweislage sei
eindeutig.
O-Ton Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter:
Wir haben alle diese Dokumente, die sind heute auch alle
öffentlich zuganglich, dass diese Verhörmethoden
ausdrücklich von Rumsfeld angeordnet wurden. Aber
natürlich mit Wissen der höchsten Stellen in den Vereinigten
Staaten von Amerika.
Die höchste Stelle – das ist der Prasident. Nach der
amerikanischen Verfassung tragt er die Verantwortung für alles,
was die Regierung tut oder lasst.
O-Ton Prof. Dietmar Herz, Politikwissenschaftler Universitat
Erfurt:
Eigentlich bedeutet das, dass jede Handlung, die diese
Exekutive vornimmt und die der Prasident billigt und gegen
die er nicht einschreitet, ihm auch zuzurechnen ist.
O-Ton Frontal21:
Das heißt konkret auf Folter bezogen, wenn der Prasident
nichts dagegen unternimmt?
O-Ton Prof. Dietmar Herz, Politikwissenschaftler Universitat
Erfurt:
Dann hat der Prasident gefoltert. Das muss man in dieser
Drastik sagen.
Obama müsste Bush dafür zur Rechenschaft ziehen. Dazu
verpflichtet ihn die UN-Folterkonvention. Die USA haben sie
unterschrieben und als bindend anerkannt.
O-Ton Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter:
Dann haben die Staaten die Verpflichtung alles zu tun, dass
Personen, denen vorgeworfen wird, dass sie gefoltert haben,
dass die auch letztlich vor ein Gericht kommen und
strafrechtlich belangt werden.
George Bush auf der Anklagebank? Noch nie in der
amerikanischen Geschichte hat sich ein US-Prasident vor Gericht
verantworten müssen. Selbst Richard Nixon nicht. Wegen des
Watergate-Skandals musste er 1974 zurücktreten. Einige seiner
Mitarbeiter wurden verurteilt, Nixon selbst aber von seinem
Nachfolger Gerald Ford begnadigt, noch bevor eine Anklage
erhoben wurde. Auch George Bush könnte davon kommen. Das
jedenfalls legen Obamas Worte vor gut einer Woche im USFernsehen
nahe.
(this is the example your german news used on nixon and bush)
O-Ton Barack Obama, US-Prasident:
Wir schauen uns natürlich an, was in der Vergangenheit
passiert ist, niemand steht über dem Gesetz. Andererseits
bin ich überzeugt, dass wir besser nach vorne schauen
sollten, statt zurück.
O-Ton Vince Warren, Center for Constitutional Rights:
Seine Vision mag sein, nach vorne zu blicken. Deshalb liegt
es an uns, die die Folteropfer vertreten, Druck auf ihn und
den Kongress auszuüben, damit ein Sonderermittler ernannt
wird. Obama sollte daran interessiert sein, zu wissen, was
wirklich passiert ist. Das ist das Mindeste, was er tun sollte.
Obama wird Guantanamo schließen und es wird wohl
Untersuchungen wegen der Verhörmethoden geben. Aber ob es
je zu Anklagen kommt, ist mehr als unsicher. Und wenn, glauben
Experten, werden nur die Schergen vor Gericht stehen, nicht aber
die Machtigen.
O-Ton Prof. Dietmar Herz, Politikwissenschaftler, Universitat
Erfurt:
Diejenigen, die politisch dafür verantwortlich sind, also die
wichtigen Figuren der Administration, Cheney, der ja das
Waterboarding noch in den letzten Tagen verteidigt hat oder
der Prasident selber, dass die nicht belangt werden - das
wird wahrscheinlich der Fall sein.
O-Ton Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter:
Das ist letztlich natürlich auch eine politische Frage, ob man
diese Personen wirklich zur Verantwortung ziehen wird. Aber
rechtlich gesehen liegt hier eine klare Verpflichtung der
Vereinigten Staaten von Amerika vor.
Mit dieser rechtlichen Verpflichtung wird Obama umgehen
müssen. Er wird ab heute sein Wahlversprechen einlösen wollen.
Und das ist der Wechsel, der politische Neuanfang. Dazu gehört
auch die Entscheidung, ob er seinen Vorganger zur
Rechenschaft ziehen will, oder nicht.
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